16te-Paris-Brest-Paris
Fortsetzung
Christian Schulz (rand at bartali,dyndns,org)
km 485 - Geheimkontrolle in Corlay (das französische "Controle secret" führt immer wieder zu erheiternden Übersetzungen). Hier gibts nur einen Stempel, aber auch einen Supermarkt, der auch zu dieser frühen Stunde geöffnet hat. Leider hat er keinen Vanille-Milchreis mehr, sondern nur noch solchen mit Karamell, welcher in natura noch bizarrer aussieht als auf der Verpackung. Kann man aber essen. Ich frage mich bisweilen, wofür ich eigentlich mehr als 1kg (geschätzt, an Anstiegen dank exponentiell steigender Hangabtriebskraft etwa 3 Zentner) Notkekse mit mir herumschleppe. Verhungert ist hier ja wohl noch keiner! Auch noch unverhungert ist Armin, dem wir hier kurz begegnen. Er hat ein wenig Zeit wegen eines worst-case-Defektes verloren: Sein Tacho hatte einen Totalausfall. Hat er aber nach alter Randonneur-Manier alles wieder hingefriemelt, und so weiß er dann auch noch, wo er ist.

km 564 - Aussichtspause auf dem Roc Trezevel. Bei schönerem Wetter und etwas weniger Dunst hätte man ja einen tollen Blick, so aber muss man mehr ahnen als sehen. Es ist auch verflixt windig, aber trotzdem schauen wir uns mal in Ruhe um, die Räder gegen das Wohnmobil eines Zuschauers gelehnt, dessen Angebot, uns zu verpflegen, wir allerdings ablehnen, damit mein Rucksack mal um ein paar Kekse leichter wird.

km 573 - Das ist mein Terrain - leicht abfallendes bis flaches Gelände, endlich mal das große Kettenblatt und die Gelegenheit, Alex ein bisschen Windschatten zu bieten. Prompt seh ich nur noch aus dem Augenwinkel, dass ein paar Entgegenkommende uns heftigst grüßen. Alex klärt mich auf: Rainer und Christian sind schon auf dem Rückweg. Chapeau! Das riecht, als wollten die beiden die 70h-Marke anpeilen.

km 577 - Mal wieder Pause machen, traditionell an einer Einmündung. Alex muss irgendwas an Kette oder Getriebe friemeln; bei dem Wasser, was da von oben gekommen ist, ist ja auch ein bisschen Kettenpflege nicht zuviel verlangt. Da es aber zunehmend sonniger und angenehmer geworden ist, hocke ich mich währenddessen auf eine Art Mauer und schaue dem fahrenden Volk zu. Ein Nicht-Randonneur mit Rennrad kommt aus der Gegenrichtung und gesellt sich zu mir, wobei er jeden Vorbeifahrenden anfeuert. Plötzlich höre ich meinen Namen von der gegenüberliegenden Straßenseite rufen: Namensvetter Christian aus Orchies ist auch schon auf dem Rückweg! Drei Sekunden müssen für gegenseitige gute Wünsche reichen, dann sind wir wieder außer Hörweite.
[13] - Alex überquert den Atlantik
[14] - Gegenwind von 5 Bf suggeriert hohe Fahrgeschwindigkeit
km 613 - Unangekündigte Bergwertung in Brest! Und dazu gibt's sogar einen Radweg *würg*. Von dem werden wir von einer Ordnungskraft aber gleich wieder runtergescheucht, denn am rechten Fahrbahnrand stehen Ambulanz und andere Fahrzeuge - das sieht nach üblem Unfall aus. Sehr übel sogar: Ein Randonneur liegt erstversorgt auf einem kleinen Stückchen Wiese, sein Rad irgendwo achtlos hingeworfen. Rechts daneben ein Kleinwagen mit einem kapitalen Frontschaden, wie ihn ein Radfahrer niemals erzeugen könnte. Völlig unklar, was da passiert ist, aber es ist ein mehr als mulmiges Gefühl, dort vorbeizufahren. Den Berg nehm ich dann gar nicht mehr als solchen wahr.

km 614 - Welch Kontrast! Plötzlich haufenweise Leute, Applaus, Begeisterung, Willkommensgrüße - die Brest-Kontrolle ist erreicht. Felix mit seinem Liegerad ist auch schon da, liegt in der Sonne und kaut an einem Löffel undefinierbarem. Wir hören zum ersten Mal von dem Gerücht, wegen des schlechten Wetters solle die Karenzzeit auf 92h hochgesetzt werden. Wer sich allerdings in Brühl oder Großenwieden über die 600 km <http://velo.bartali.dyndns.org/brm600-bruehl.html> qualifiziert hat, kann an dem herrschenden Wetter nichts besonderes entdecken, daher bleiben wir mächtig skeptisch.
[15] - Sizun: Vogel fliegt, Mensch radfährt
[16] - ...oder sitzt und kaut
km 654 - Nach der Pause in Sizun komm ich so gar nicht wieder in Schwung, man hat das Gefühl, dass keine Luft oder schweres Wasser in den Reifen ist und überhaupt. Mir graut es vor dem Moment, wo die Steigung zum Roc Trevezel ernsthaft beginnt.

km 660 - Die Steigung ist da, und genau das hab ich gebraucht. Plötzlich fühl ich mich fit und fahre da mit mäßigem Tempo problemlos hoch. Etwa 50 m vor mir eiert einer im grauen Trikot da lang; plötzlich ist er weg.

km 664 - Ein graues Trikot überholt mich und bedankt sich fürs Ziehen, will sich jetzt revanchieren. Der Schelm war die ganze Zeit hinter mir! Und ich dachte, das sei Alex; der aber hat eine unangekündigte Pinkelpause gemacht und hinkt ca. 1 Minute hinterher. Mit dem Mann aus Sydney klöne ich ein bisschen und fahre über den Pass - leider ist die Sicht durch den starken Dunst immer noch deutlich getrübt.

km 725 - "Alex, wart mal kurz." Dieses Mal worst case: Mein primärer Tacho ist ausgefallen! Ein uralter Sigma 1400, mit Kabel - und vor allem frischen Batterien und taufrischer Anzeige. Keine Ahnung, was da los ist; Rumgerüttel bleibt erfolglos. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als im Weiteren auf den zickigen Sigma 2006 zu vertrauen, der eigentlich nur eingeladen war, um die Höhenmeter zu messen. Der alte darf brav als Stoppuhr weiterlaufen.

km 729 - Wahrscheinlich holt uns die amerikanische Reisegruppe, die wir grad im Fluge überholt haben, gleich wieder ein, aber es muss sein: anhalten und schiffen. Der Vorgang ist so gut wie abgeschlossen, als die Gruppe auch schon auftaucht, hinter sich ein professionelles Kameramotorrad mit Mörder-Scheinwerfern im Schlepptau. Komm ich getz im Fernseeeen? Vielleicht lieber nicht...

km 742 - Kurz hinter Corlay, der Geheimkontrolle vom Hinweg, erliegen wir zum zweiten Mal den Verlockungen eines privaten Verpflegungstischchens und genehmigen uns einen Kaffee. Ein bisschen müssen wir bis zum Hotel ja auch noch wachbleiben. Die Amerikanerin neben uns, die unmittelbar vor uns losfährt, bezahlt mit einer 50-Cent-Münze. Ich bin verwirrt.

km 744 - Neee... also, nicht dass ich keine Hochachtung oder gar keine Dankbarkeit gegenüber den Menschen empfinde, die dort mitten in der Nacht aus reiner Begeisterung Kaffee und Kekse anbieten (es ist sogar noch schlimmer und ich bin mir sicher, dass ohne sie alle der Weg hierhin deutlich schmerzhafter gewesen wäre) - aber ich für meinen Teil bin mir sicher, sie mit einer Bezahlung grob zu beschämen. Ich musste das aber doch mal kurz so für mich selbst klären; 2 km sind dafür ja nicht zuviel.

km 757 - Dauerregen. Und eine ganz schlimme Strecke, man kann das nicht wirklich Asphalt nennen. Zum Glück ist die Topographie recht fordernd, so dass man sich über den Rest nicht noch mehr ärgern muss. Jammerschade, dass wir diesen Abschnitt beide Male im Dunkeln passieren.
Wir sind mitten in einer größeren Gruppe, wie es scheint vorwiegend Amerikaner, die wir nicht so richtig weder nach vorne noch nach hinten verlassen können. Jetzt wieder eine dieser steilen Rampen, wo man im Nu im kleinsten Gang fährt; mein Nebenmann versucht, sich das durch Mäandrieren etwas einfacher zu machen - oder ist er nur eingenickt? Jedenfalls driftet er nach links von der Fahrbahn ab, strandet auf dem mit Gras bewachsenen Randstreifen und lässt sich mit einem "Umpf, umpf!" in Zeitlupe gegen die Böschung fallen. Verdattert dreh ich mich um, aber da kämpft er sich auch schon wieder unter seinem Rad hervor.

km 795 - Endlich sind wir wieder im Hotel, wie geplant (bzw. befürchtet) um 3:00 nachts. Die Besitzer haben aber die Garage und Türen offen gelassen und sich sogar bereit erklärt, um 7:30 ein Frühstück aufzutischen, damit wir mal in angenehmer Umgebung etwas essen können. Lecker! Und tatsächlich kommen wir, nach einem rührenden Abschied und nicht ohne das Versprechen, unbedingt über unser weiteres Schicksal per Mail zu berichten, pünktlich um 8:00 wieder auf die Straße.

km 797 - Es fängt an zu regnen. Es ist unglaublich kalt, wenn man müde ist und dann in die noch feuchten Klamotten gestiegen ist. Auch wenn wir uns jetzt gefährlich nahe am (virtuellen) Kontrollschluss befinden, sind wir sofort wieder auf eine größere Gruppe gestoßen und kommen dann, nach einem leichten, aufwärmenden Anstieg auch ganz flott voran.

km 821 - Zweite Geheimkontrolle, die uns traditionell morgens zu erwischen scheint. Natürlich nieselt es wieder. Und auch Kollege K. (dessen Namen mir leider entfallen ist) ist zeitgleich da, obwohl er schon seit hunderten von Kilometern außer extrem gesüßtem Tee keinerlei Nahrung bei sich behalten kann. Hut ab! Wie man unter den Umständen so weit kommen kann ist mir völlig schleierhaft.
[17] - Schilder helfen einem, sein Fahrrad richtig orientiert einzuparken
km 859 - Unmittelbar vor der Kontrollstelle in Tinteniac (der Name erinnert mich auch beim 523. Lesen immer nur an "Tintagel") machen wir eine Sandwich-Pause in einem kleinen Restaurantchen. Auf der unmittelbar davor liegenden Abfahrt macht ein Traktor auf einmal eine Vollbremsung, der hinter ihm fahrende Randonneur bietet alle Brems- und Steuerkünste auf und kommt ungeschoren davon. Gerettet wurde dadurch eine Sonnenbrille, die ein vorausfahrender Gefährte - vermutlich unabsichtlich - abgeworfen hatte.

km 860 - Rekordbesuch einer Kontrollstelle: Anhalten, Buch stempeln lassen und Magnetkarte durchziehen, abfahren. Eine gerechte Strafe für die pappigsten Nudeln aller Zeiten, die wir hier auf der Hinfahrt essen mussten
.
km 875 - Die Rekordjagd geht weiter. Die relativ flache und gut asphaltierte Strecke sowie ein diskreter Rückenwind schrauben unsere Reisegeschwindigkeit auf knappe 30 km/h. Uns selbst ist das etwas unheimlich, aber das Geschenk kann man nicht ablehnen. We make friends all over the world und unterhalten uns mit einem Norweger, den wir "auffahren", und der uns von den Aktivitäten der texanischen Randonneure berichtet. Diese haben einen 20 Meilen langen Rundkurs eingerichtet, auf dem sie Brevets trainieren - inkl. 24h-Läufe sowie 500- und 1000-Meilen-Brevets. Soll man sowas wirklich glauben? Andererseits - Land der unbegrenzten Möglichkeiten...

km 942 - Auf dem leicht welligen Terrain liefern wir uns ein Scharmützel mit einem vollverkleideten Lieger. Das Ding überholt uns auf den Gefällstrecken mit ungefähr 84 km/h oder so, bleibt dafür an den Steigungen fast stehen.
Alex hat zum Geburtstag ein Buch über PBP geschenkt bekommen mit einem Kapitel "Die Frage nach dem Sinn". Ich denke über diese Überschrift nach. Und merke, dass ich mir diese Frage gar nicht stelle - nie gestellt habe. Im Gegenteil finde ich das alles so spaßig und spannend, kurzweilig - mit dem randonnieren, wie ich es bislang kennengelernt habe, dem einsamen Sich-Durchschlagen, hat das alles gar nicht mehr viel zu tun. Und die Tatsache, dass man quasi auf jedem Streckenkilometer jemandem begegnet, der einen anfeuert - und wenn es nur aus entgegenkommenden Autos ist - sorgt schon dafür, dass trübe Gedanken nicht wirklich aufkommen wollen. Natürlich ist es auch hilfreich, dass mein Körper bislang bestürzend gut mit der Aktion hier klarkommt, das liegt aber vielleicht auch daran, dass ich seit neuestem vorne dreifach fahre und daher an den Anstiegen zwei leichtere Gänge an Bord hab als sonst. An den reichlich vorhandenen ruppigen kurzen Anstiegen spart das ungemein Muskelkraft.

km 962 - Wir entdecken bei einer Ortsdurchfahrt einen kleinen "8 à 8"-Supermarkt, der strategisch ungeschickt etwas versteckt rechts von der Strecke liegt. Auch hier kein Vanille-Milchreis, so versuche ich mich diesmal an gesüßtem Naturjoghurt. Außer Randonneuren scheint der Laden heute keine Kundschaft zu haben, und der Kassier verabschiedet uns mit einem aufmunterndem "Bon courage!".

km 1002 - Kontrolle in Villaines und Schrecksekunde: Beim Verlassen der Kontrollstube macht sich Alex' Oberschenkel selbständig und zerrt, auch an den Nerven. Den Krampf kann er gerade noch abwenden; vorsichtig eiern wir zur Restauration, um uns zu verpflegen. An der Kasse werden wir von Schulkindern erwartet, die den inzwischen arg mitgenommenen Randonneuren die vollen Tabletts in den Speisesaal tragen. Eine immens rührende Geste, die wir - mal wieder - gar nicht richtig wechseln können außer uns überschwenglich zu bedanken.

km 1004 - Ganz sachte, um Alex' Oberschenkel erstmal zu testen, verlassen wir Villaines. Fühlt sich aber alles ganz gut an, und damit wird auch offiziell bekannt gegeben, dass wir die letzte Nacht "im Wesentlichen" durchfahren werden. Es sind ja auch nur noch gut 220 km, also ein stinknormaler Marathon. Da Aufgeben ja eh keine Option ist, hatte ich mir ganz heimlich als Ziel eine Zeit unter 85h gesetzt; das ist damit auf einmal auch recht realistisch.

km 1023 - Mitten im Nirgendwo ein Dorf, darin ein Café und ein höllischer Trubel. Zwei von drei durchkommenden Fahrern nutzen die Gelegenheit zu einem Imbiss oder einem Schluck Kaffee; auch wir können der Versuchung nicht widerstehen.

km 1082 - Ich hatte völlig vergessen - oder gar nicht gemerkt - wie grässlich bergig es um Mortagne au Perche ist. Die letzten Kilometer ziehen sich endlos über steile Wellen dahin. Pünktlich hat auch wenige Kilometer vor der Kontrollstelle der traditionelle Kontrollstellenregen wieder eingesetzt.

km 1085 - In Mortagne au Perche gibts einen Berg leckerer Bolognese-Pasta. Auf der Suche nach einem freien Sitzplatz steuern wir auf die hinteren Tischreihen zu, die unbelegt aussehen. Unbelegt ist aber nicht der Fußboden dort, wo sich dutzende von Fahrern ein Nickerchen gönnen. Will man die letzte Nacht nicht durchfahren, ist das wohl der beste Ort für etwas Erholung. Wir begnügen uns mit einem 15-minütigem Dauerschlaf am Tisch und fahren dann wieder in die verregnete Landschaft.
[18] - Auch Kanadier müssen hin und wieder schlafen
km 1111 - Nothalt in Marchainville. Alex hat einen akuten Müdigkeitsanfall und muss sich widerwillig zum echten Randonneur schlagen lassen, indem er sich an eine Häuserwand setzt und einen Kurzschlaf nimmt. Währenddessen verspeise ich eine halbe Tüte Weingummi und beobachte die Vorbeireisenden.

km 1111 - Nothalt in Marchainville. Nach nur 500 m fahren wir auf eine zwanzigköpfige Gruppe auf, die dikutierend die Straße verstopft. Der Fahrer des "Stoßmich-Ziehdich"-Tandems klärt mich auf: Missliebige Zeitgenossen haben ein Seil quer über die Fahrbahn gespannt und Öl auf die Strecke gekippt. Es soll bereits Stürze gegeben haben, aber zum Glück wurde durch das Seil niemand verletzt. Ein französischer Kollege ruft den nächsten Polizeiposten an, aber der Mensch am anderen Ende der Leitung ist von der Existenz des Ortes Marchainville wohl nicht wirklich zu überzeugen. Nach einigen weiteren ratlosen Minuten fahren wir einfach weiter; zum Glück ohne besondere Vorkommnisse.

km 1136 - Noch 22 km bis Dreux, der letzten Kontrollstelle, bei der man sich traditionell wie schon fast daheim fühlt. So einfach die Strecke ausschaut, völlig plan ist die Landschaft mit einer hineingeworfenen überraschend kurvigen Straße, so furchtbar hat sich der raue Asphalt dieses Abschnitts einem jeden in Füße, Sitzfläche und Hirn eingebrannt. Einziger Anhaltspunkt ist ein großes Steingebäude irgendwo mitten im Nichts, dass wir sinnlos einem blinden Adler gleich zu umkreisen scheinen.

km 1158 - Nach völlig verwirrender Ortseinfahrt Kontrolle in Dreux. Ich sollte was essen, eiere aber zwischen den Angeboten völlig ziellos umher und fühle mich eigentlich gar nicht hungrig. Aus Verzweiflung nehme ich ein Schinken-Sandwich nebst traditioneller Cola. Nachdem Alex und ich uns das zeug reingewürgt haben, entschließen wir uns zu einer weiteren 15-minütigen Sitz-Schlafpause - die aber nur 12 Minuten währt, dann reißt mich jähe Übelkeit aus dem Schlummer und ich stürze am Eingangsordner vorbei ins Freie, um Frischluft zu atmen. Hilft. Dafür entsteht jetzt eine mächtige Magen-Darm-Pein, die ich nicht entsorgt kriege. Was tun? Richtig: Weiterfahren. Spätestens jetzt ist aber der 85h-Traum geplatzt. Ist mir aber völlig wurscht grad.

km 1164 - Wir fahren auf ein Trio mit zwei Italienerinnen auf, und da Alex fast perfekt italienisch parliert, make we friends all over the world. Als Fünfergruppe funktionieren wir prima und lösen uns in der Führungsarbeit regelmäßig ab, aber ich merke schon jetzt, dass das keine Fahrweise ist, die ich im momentanen Zustand lange durchhalten kann.

km 1183 - Ich versaue Alex den Vormittag und muss mich zurückfallen lassen.

km 1186 - Alex hat sich von der Gruppe verabschiedet und begleitet mich wieder. Ich instruiere ihn, rechts von mir zu fahren, da ich im Falle eines Falles nicht beabsichtige, auf die Schaltwerkseite zu brechen.

km 1217 - Wo kommen plötzlich die ganzen Fahrer her? Sowohl von vorne wie auch teilweise von hinten (wir scheinen immer noch etwas schneller zu fahren als der Durchschnitt) klumpt sich ein etwa 20 Köpfe großes Feld zusammen, auch die Italiener sind wieder dabei.

km 1227 - Der Kreisverkehr am Ziel ist erreicht! Hunderte stehen am Straßenrand und applaudieren, als unsere Gruppe dort einfährt. Vor Begeisterung bemerken die vorne fahrenden nicht die heftige Gestik des Einweisers, der uns nach rechts in Stadion schleusen will, so dass dem armen Mann nichts anderes bleibt als sich dünn zu machen, als 3/4 der Truppe links an ihm vorbei zu einer weiteren Runde ansetzt. Macht nichts, gibts halt nochmal Applaus. Vor lauter Konzentration, mich beim Überfahren des Holzbrettes, das den Bordstein zur Einfahrt ins Gymnasium überwindet, nicht lang zu legen, kann ich diesen wirklich großen Moment aber gar nicht richtig genießen. Der unvermeidliche Tom ist auch schon im Stadion und wirkt extrem duschbedürftig. Wir quatschen uns kurz gegenseitig voll, und dadurch verliere ich auf Alex in der Gesamtwertung eine Minute. Ich nehme ihm das aber nicht übel.
Dessert
Drei Stunden später bin ich nach einer 8km-Rückfahrt und einem Entspannungsbad in viel zu kleiner Wanne in meinem Hotelbett und falle in einen sofortigen Tiefschlaf. Weitere vier Stunden später weckt mich meine Schwester, die vom 90-stündigen Paris-Erforschen (allerdings mit mehr Schlafpausen) zurückkommt. Mein Körper ist unterdessen wohl in eine Art Schutzstarre gefallen und lässt sich kaum mehr bewegen; jeder Muskel ist ein Brett. Ich würge mir einen halben Liter Wasser und zwei Nektarinen rein und schlafe einfach weiter.
Einen Tag später fühle ich mich zwar immer noch ganzkörpermüde, hab aber wunderlicherweise keine Muskelbeschwerden; nur aus den brennenden Füßen sind ein paar (genauer: zehn) taube Zehen geworden. Ähnlich ergeht es den jeweils drei äußeren Fingern. Ein Spaziergang durchs Dorf und abends eine Exkursion in den Schlosspark von Versailles tut gut - noch besser tut aber das anschließende Abendessen!
Drei Tage später wieder arbeiten, zurück in der Normalität - kein Held mehr sein, dem an den Kreuzungen Platz gemacht wird, wie ernüchternd! Aber es bleibt das angenehme Gefühl, etwas besonderes geschafft zu haben - was sich hoffentlich nicht durch ein leicht debiles Dauergrinsen auf meinem Gesicht bemerkbar macht. Claus Czycholl zitiert auf seinen Webseiten einen Finisher von 1995: "Nach PBP ist man nicht mehr der selbe!". Bin ich noch derselbe? Wenn's nach ca. 95% meiner Bekannten geht: Nein - sondern ein offiziell zertifizierter Bekloppter ;-)

Bildnachweise
Alex: [3],[4], [7]-[10], [14]-[17]
Christian: [1],[2], [5], [6], [11]-[13], [18]-[20]